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(Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Dr. W-E Lönnig)

Wolf-Ekkehard Lönnig:

Last Update 5. August 2010: neu ist der Teil 2 ab p. 113 (frühere Updates zum ersten Teil siehe p. 112).
Einige zumeist kleinere orthographische Korrekturen am 13. 12. 2011.

"Die Affäre Max Planck", die es nie gegeben hat

Diffamierungspolitik, weltanschauliche Motivation und (Berufsverbots-)Ziel der AG Evolutionsbiologie

Teil 1 (pp. 1-112): unverändert, Teil 2 mit Daten zur neuen Situation der AG Evolutionsbiologie


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Markus Rammerstorfer (2005):
Die Kunst der Kritik nach dem Rezept der AG Evolutionsbiologie

Die AG Evolutionsbiologie spart nicht mit harter Kritik an allen, die eine evolutionäre Gesamtsicht der Organismenwelt nicht teilen. Ein Beispiel dafür ist der Aufsatz "Affäre Max Planck - und kein Ende?"1 auf deren Website www.evolutionsbiologen.de. Dieser Text stellt eine breit angelegte Kritik an den Ausführungen des Evolutionskritikers und ID-Befürworters Wolf-Ekkehard LÖNNIG dar. M. NEUKAMM ist Autor dieses Textes und A. BEYER wichtiger Mitwirkender, sie sprechen im "Namen des Vorstandes der AG Evolutionsbiologie" - der Artikel ist somit "offiziell" abgesegnet.

Dort findet sich auch ein Kapitel mit dem Namen "Ernst Haeckel und das Leitbild der ontogenetischen Rekapitulation", welches ich hier kurz kommentieren möchte – als an der Sache (Rekapitulationen) Interessierter2, aber besonders als Person, die sich für die Technik der AG Evolutionsbiologie im Umgang mit Evolutionskritikern interessiert. Dies ist ein Fallbeispiel, in dem sich beide Punkte gut vereinen lassen.

Ich werde das Kapitel Stück für Stück kommentieren und gebe Hinweise, falls Passagen ausgelassen werden. Die Auszüge aus der Kritik der AG Evolutionsbiologie sind grün gehalten.

1) "In ähnlich einseitiger Form widmet sich Lönnig der kritischen Betrachtung der Person Ernst Haeckel sowie des auf ihn zurückgehenden Leitbildes von der auszugsweisen und schnellen Rekapitulation stammesgeschichtlicher Stadien in der Keimesentwicklung (Ontogenese)."

Inwiefern LÖNNIGs Ausführungen in einem Artikel3 der übrigens den Fokus auf Johann Gregor MENDEL und seine Arbeit bzw. deren Werdegang legt, "einseitig" sind, erfährt der Leser hier zwar nicht, aber die Formulierung erzeugt trotzdem eine Stimmung, welche bestimmt nicht im Interesse der kritisierten Person ist.

Ob "auszugsweise" und "schnelle" Rekapitulation ein "Leitbild" darstellt, ist eine Frage, die noch öfter auftauchen wird. Unter einem "Leitbild" verstehe ich etwas, dem man folgt, einen Rahmen, in dem man etwas durchführt, Parameter, nach denen man sich richten kann. Der Brockhaus (Bd.27, 1995) definiert ein Leitbild als "Leitende Vorstellung oder deren Verkörperung".

2) "So ist auf einer seiner Internetseiten ...vom "Sturz Haeckels" und dessen angeblich gefälschten Abbildungen in seinen "Embryonentafeln" die Rede,"

Es ist nützlich zu wissen, dass LÖNNIG nicht vom "Sturz Haeckels" gesprochen hat, sondern der von ihm angeführte Autor H. C. JÜNGST, ein enttäuschter Anhänger HAECKELs, in dessen Augen dieser stürzte. Und was "angeblich gefälschte Abbildungen" in HAECKELs Embryonentafeln betrifft, ist in LÖNNIGs Arbeit lediglich der wertungsfreie Verweis auf weiterführende Literatur zu finden. Die Formulierung "die Rede" ist also insofern irreführend, als die genannten Punkte von LÖNNIG dort nicht einmal kommentiert werden. HAECKEL und sein "Biogenetisches Grundgesetz" werden in einem anderen Kontext aber durchaus thematisiert, nämlich wenn es um die Untersuchung der Auswirkungen dieses Ansatzes auf die biologische Forschung geht. Das wiederum fügt sich gut in den Gesamtkontext einer Arbeit, die sich mit den Auswirkungen darwinistischer Ansätze auf die Biologie zur Zeit der Debatten um MENDELs Forschungen beschäftigt. Bei den folgenden Ausführungen sollte

beachtet werden, dass von Seiten der AG Evolutionsbiologie nicht ein Artikel oder auch nur ein ausführlicher Absatz über die Fälschungsvorwürfe gegen HAECKEL kritisiert wird, sondern allem Anschein nach folgender Hinweis: Jüngst: DER STURZ HAECKELS (1910; siehe im World Wide Web unter Kurt Stüber), R. Gursch (1981) sowie E. Pennisi: HAECKEL'S EMBRYOS: FRAUD REDISCOVERED (1997 über eine Arbeit mit einer Photodokumentation von Embryonen in Kontrast zu Haeckels Abbildungen von M. Richardson 1997).

Kontext des Zitats: HAECKEL hatte andersdenkende Menschen als Fälscher bezeichnet, was in LÖNNIG's Artikel kurz angeschnitten wird. Selbstverständlich ist es in diesem Zusammenhang informativ zu wissen, dass HAECKEL selbst begründet mit diesem Vorwurf konfrontiert werden kann. Genau diesen Hinweis geben LÖNNIG's Literaturstellen an dieser Stelle.

3) "...so daß der unbedarfte Leser unwillkürlich zu der Einschätzung gelangen muß, als handele es sich bei der Rekapitulationsregel um eine völlig überholte Vorstellung."

Es wird ein Leser postuliert, der zu erstaunlichen Schlüssen kommt. Und auffällig ist, dass hier von der Rekapitulationsregel gesprochen wird, inLÖNNIGs Arbeit jedoch nur vom "Biogenetischen Grundgesetz" (im Kontext einer biologiehistorischen Arbeit). Wichtig ist hier, dass LÖNNIG keine Brücke vom "Sturz Haeckels" und "gefälschten Abbildungen" zum Stellenwert von HAECKELs Gesetzesformulierungen baut. Das wurde offenbar in LÖNNIGs Arbeit einfach hineingelegt. Dafür spricht auch eine Aussage LÖNNIGs, in der er zwischen der Kritik an HAECKEL als Person einerseits und der Kritik an der Sache selbst unterscheidet:

"Nur darf man nicht den Fehler machen, mit einer berechtigten Kritik zu einer zweifelhaften Methode und/oder den Fehlern eines einzelnen Forschers auch gleich die "ganze Sache" über Bord zu werfen, denn diese hätte sich ja unabhängig von den Haeckelschen Darstellungen und Methoden als richtig erweisen können."

Der "unbedarfte Leser" wird also auf LÖNNIGs Seiten genau vor dem Trugschluss gewarnt, der gemäß der AG Evolutionsbiologie aus seinen Ausführungen hervorgehen soll. Zwar findet sich diese Klarstellung in dem Artikel "Antwort an meine Kritiker"4 (Fußnoten) und nicht in der von der AG Evolutionsbiologie in Bezug auf HAECKEL herangezogenen Arbeit von LÖNNIG, womit man argumentieren kann, dass die Autoren der AG Evolutionsbiologie diese relevante Aussage einfach übersehen haben. Problematisch ist dabei jedoch, dass man von den Urhebern einer umfassenden Kritik an LÖNNIG mindestens erwarten kann, dass diese gerade eine Arbeit, in der er seinen Kritikern antwortet (!), besonders genau lesen. In diesem Fall hätte ihnen dieser Punkt bewusst sein sollen.

4) "Interessanterweise endet der "Zeithorizont" der von Lönnig zitierten Literatur abrupt im Jahre 1997; so weist er hauptsächlich auf Richardsens Kritik an den Embryonentafeln sowie auf einen Leitartikel von Penisi [SIC] hin."

Wenn man "interessanterweise" durch "verständlicherweise" ersetzt, bekommt man eine Formulierung, die zwar keine negative Kritik gegen LÖNNIG darstellt, aber dafür zum Kontext passt. Wie unter 2) bereits dargelegt wurde: LÖNNIG gibt die Literaturstellen, die sich um die Fälschungsvorwürfe gegen HAECKEL drehen, im Zusammenhang mit dessen Vorwürfen der Fälschung gegen andere Menschen an und ohne dieses Thema der Fälschungen weiter aufzurollen. Hätte LÖNNIG in seiner Arbeit natürlich explizit die Fälschungsvorwürfe gegen HAECKEL thematisiert, wäre es verwunderlich, warum der Aufsatz nicht auch neuere Literatur dazu angibt. In einer persönlichen E-Mail (Dienstag, 26.04.05) gab mir Wolf-Ekkehard LÖNNIG dazu noch folgenden Hinweis:

"Nicht unwichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang auch, das ich nach meiner Erinnerung - ich müsste noch mal nachsehen - dieses Kapitel Ende 1997, Anfang 1998 geschrieben habe. Die weitere Diskussion folgte demnach erst nach Abschluss des Kapitels, das natürlich sowieso nicht beabsichtigte, einen vollständigerschöpfenden Überblick über diese Frage zu geben."

5) "Was nur die wenigsten Leser wissen können, ist die Tatsache, daß sich mit Blick auf die kreationistische Vereinnahmung dieser beiden Artikel eine rege Diskussion in der Fachwelt entsponn, die im Jahre 1998 begann und bis heute nachhallt und eine Welle von Richtigstellungen nach sich zog, die Lönnig völlig unterschlägt."

Die so genannte "kreationistische Vereinnahmung" der Arbeiten von PENNISI (1997) und RICHARDSON et al. (1997) ist für LÖNNIGs Text nach dem Gesagten irrelevant. Der Vorwurf der Unterschlagung ist daher konstruiert.

Und was wurde überhaupt "richtiggestellt" - wurden etwa die Arbeiten von PENNISI und RICHARDSON et al. in der Fachwelt entkräftet, sodass LÖNNIG seinen Literaturverweis entsprechend hätte ändern müssen? Dem ist nach meinen Informationen nicht so. Die "Richtigstellungen" betrafen die angebliche"kreationistische Vereinnahmung"; mit LÖNNIGs Arbeit hat das aber nichts zu tun.

Die Punkte 2) - 4) sind schon in die Richtung gelaufen und hier passiert das, was in vielen Debatten auf vielen Gebieten passiert: Der Strohmann ist fertig gebaut, nun wird seine mangelnde Resistenz gegen Feuer unter Beweis gestellt. So könnte man jedenfalls den Sachverhalt pointiert beschreiben, wenn jemand für etwas vernichtend kritisiert wird, das er gar nicht gesagt hat oder nicht vertritt (zumindest nicht in der kritisierten Form).

6) "Obschon Haeckels Umgang mit gewissen embryologischen Daten Anlaß zur Rüge gab, mußten seine Kritiker ihm im Grundsätzlichen recht geben." (Anm.: Hier folgt im Text der AG Evolutionsbiologie ein langes Zitat von RICHARDSON et al. (1998), welches ich hier auslasse)

Diesen "Anlass zur Rüge" kann man durchaus etwas drastischer formulieren, oder wie RICHARDSON (1998) geschrieben hat:

"Nonetheless, the core scientific issue remains unchanged: Haeckel's drawings of 1874 are substantially fabricated. In support of this view, I note that his oldest "fish" image is made up of bits and pieces from different animals – some of them mythical. It is not unreasonable to characterize this as "faking". Later editions of Haeckel's drawings were somewhat more accurate, and showed significant variations among embryos of different species. Sadly, it is the discredited 1874 drawings that are used in so many British and American biology textbooks today." (S.1289)

RICHARDSON kommt also zu dem Schluss, dass es nicht unplausibel ist HAECKELs Vorgehensweise mit Fälschung in Zusammenhang zu bringen. Und sehr interessant ist der Zusammenhang, in dem RICHARDSON dies tut: Nachdem er in den Sätzen vorher seine Besorgnis darüber zum Ausdruck brachte, möglicherweise Kreationisten Munition geliefert zu haben und die Debatte um HAECKEL, bzw. die Fälschungsvorwürfe gegen ihn, bereits ein breites Publikum erreicht hatte. Diese Entwicklungen hinderten ihn also nicht daran HAECKELs Vorgehensweise weiterhin zu kritisieren.

Das wäre doch eine Information gewesen, die die Leser der Kritik an LÖNNIG sicher interessiert hätten. Besonders da in der Kritik der AG Evolutionsbiologie der Zeithorizont von 1997 überschritten wird und sie sehr gut in den thematischen Kontext von deren Ausführungen gepasst hätte.

Spannend ist auch die Frage, wo HAECKELs Kritiker diesem "im Grundsätzlichen" recht geben mussten, oder: Wie Grundsätzlich darf Grundsätzliches sein, um noch spezifisch genug zu sein? Die in der LÖNNIG-Kritik zitierte Arbeit von RICHARDSON et al. (1998) ist primär eine Betonung, dass deren Arbeit (RICHARDSON et al. 1997) das Konzept Darwinscher Evolution nicht schwächt. Sie betonen dabei die Gemeinsamkeiten in der Embryonalentwicklung aller Wirbeltiere und geben HAECKEL insofern recht, als dieser ebenfalls darauf aufmerksam gemacht hat. Sie interpretieren diese Ähnlichkeiten als Belege für einen gemeinsamen evolutionären Ursprung. Wenn das das "Grundsätzliche" ist, dann ist das ausgesprochen unspezifisch für HAECKEL – in jedem Fall sehr viel weniger, als HAECKEL mit seinem "Biogenetischen Grundgesetz" behauptet hatte. RICHARDSON et al. (1998) zeigen jedenfalls nicht, wo ihnen der Rekapitulationsgedanke (in welcher Form auch immer!) bei der Erforschung der Beziehung zwischen Evolution und Entwicklung von Organismen (EvoDevo) eine Hilfe ist, oder gar ein "Leitbild" im oben definierten Sinn darstellt.

7) "Wer sich also dazu entschließt, auf Richardson (1997) hinzuweisen, der ist im Interesse einer seriösen Abwägung aller Fakten gehalten, die Wahrheit komplett offenzulegen; er darf sich nicht einzelne Aspekte herauspicken, die gut zum weltanschaulichen Hintergrund des Kreationismus zu passen scheinen und den Rest geflissentlich ignorieren."

Wer auf RICHARDSON et al. (1997) verweist, sollte sich versichern, dass die Literaturangabe zum jeweiligen Text passend ist und ihren Zweck erfüllt. Und dass LÖNNIGs Anführung der Arbeit von RICHARDSON et al. dem nicht entspricht, konnte die Kritik der Vertreter der AG Evolutionsbiologie nicht zeigen.Meiner oben begründeten Einschätzung nach haben sie in LÖNNIG's Text nur Interpretationen hineingelegt, die die Angabe weiterer Literatur zu dem Thema nötig machen würden.

Was die Ausführungen der AG Evolutionsbiologie betrifft, stellt sich umgekehrt die Frage, ob sie ihren eigenen Forderungen gerecht wird ("Aspekte herauspicken" usw.). So ist meiner Meinung nach der unter 6) von mir zitierte Beitrag von RICHARDSON (1998) durchaus für die hier diskutierten Fragen relevant und auch nicht schwer auffindbar. Relevant wäre ebenfalls die Information, dass der Evolutionskritiker, der im von der AG Evolutionsbiologie zitierten Beitrag von RICHARDSON et al. (1998) in Bezug auf die Fernsehdebatte erwähnt wird, etwas später die Gelegenheit bekam, in Science in Form eines Leserbriefs noch einige Anmerkungen zu den Ausführungen von RICHARDSON et al. (1998) zu machen. Dieser Evolutionskritiker war M. J. BEHE (1998: "As the debate participant who discussed Haeckel, I believe their objections are unwarranted. ...") und der Leser kann seine Anmerkungen zusammen mit einigen Gedanken von Klaus SANDER und Roland BENDER dort nachlesen5.

8) "Auch hier ist der Leser also von Lönnig fehlinformiert worden!"

Der Fettdruck dieses Satzes erzeugt einen interessanten Effekt – wegen der vorhergehenden mangelnden Beweisführung ist er allerdings irreführend. Nachdem die Kritiker der AG Evolutionsbiologie LÖNNIGs kurzen Text (der aus einigen Literaturangaben besteht s.o.) in einer Weise (fehl-)interpretiert haben, die ihnen die effektvolle Widerlegung ermöglicht, setzen sie als "Sahnehäubchen" noch die Behauptung einer "Fehlinformation" in die Welt – wobei es maximal möglich wäre LÖNNIG vorzuwerfen, dass er gewisse Literatur in seinem Aufsatz nicht angeführt hat. Und dass auch dieser Vorwurf keine echte Substanz hätte, habe ich bereits gezeigt.

9) "Selbst Kritiker der Biogenetischen Grundregel, die ihren Wert in der Phylogeneseforschung als marginal einstufen, wie z.B. Peters, räumen ein, "daß die Einstufung eines bestimmten Ontogenesestadiums als Rekapitulation überhaupt nur in Verbindung mit einer phylogenetischen Erklärung einen Sinn erhält" (Peters 1980, S. 67)"

Was dieser Satz im Zusammenhang mit einer Kritik an LÖNNIG's Arbeit über Mendel in Bezug auf HAECKEL noch zu tun hat, kann man nur raten. Was das Zitat von PETERS (1980) überhaupt in diesem Kontext bedeuten soll, ist jedoch noch viel unklarer. PETERS sagt hier lediglich, dass man Rekapitulationen nur bei Vorgabe bereits existierender Vorstellungen zum Verlauf der Stammesgeschichte erkennen kann. Rekapitulationen sind somit kein Sachverhalt, der unabhängig von einem evolutionstheoretischen Kontext für Evolution sprechen würde, sondern eine Interpretation, die in Bezug auf manche Sachverhalte der ontogenetischen Entwicklung innerhalb des Paradigmas "Evolution" getätigt werden kann. Diesen Gedanken bringt er einige Sätze vorher etwas detaillierter:

"Wenn aber die Rekapitulation so relativ gesehen werden muß, nutzt das Biogenetische Grundgesetz dem Phylogenetiker gar nichts. Indem es vorgibt, eine Hilfe bei der Lesrichtungsentscheidung zu sein, behindert es die Phylogenetik sogar in hohem Maße, denn es täuscht Lösungen vor, die keine sind. Wenn wir einige "Falten" im Kopf-Hals-Bereich des menschlichen Embryos mit den Kiemenbögen der Fische in eine Beziehung bringen, und zwar ganz anders als Johannes Müller in den oben zitierten Sätzen, so tun wir das nicht wegen des Biogenetischen Grundgesetzes, sondern weil die Vermutung einer solchen Beziehung sehr gut in den evolutionstheoretischen Erklärungskontext paßt, den wir uns ohnehin gebildet haben. Aus dem gleichen Grund nehmen wir nicht an, bestimmte Vorfahren des Menschen hätten im Adultstadium einen Dottersack besessen, obwohl doch dieser Sack mindestens so gut wie die Kiemenbögen an einem Embryo zu beobachten ist. Es ist nämlich das phylogenetische Modell, das den Maßstab für die Interpretation und Lesrichtung organischer Abwandlungen liefert ... . Für das Biogenetische Grundgesetz wie auch für alle ähnlichen Vorschriften ergibt sich daraus nur eine Konsequenz: Man sollte es vergessen. Das klingt radikal, aber es ist die einzige Maßnahme, die verhindert, daß auch in Zukunft Phylogenetik mit falschen oder doch belanglosen Argumenten betrieben wird. (S.67)

Anders als die Vertreter der AG Evolutionsbiologie nahelegen, relativiert PETERS seine Kritik an der "Biogenetischen Grundregel" nicht mit dem Verweis darauf, dass die Einstufung von Ontogenesestadien als Rekapitulationen von einem phylogenetischen Hintergrund abhängt – er begründet sie im Gegenteil damit: Er sagt hier eben nicht, dass das "Biogenetische Grundgesetz" auch nur minimal brauchbar ist, sondern dass es vergessen werden kann. Das Zitat, welches uns präsentiert wird, befindet sich in einem Zusammenhang, der den Wert von HAECKELs "Regel, auch wenn diese als "Grundgesetz" bezeichnet wird" bestreitet:

"Selbstverständlich, und das ist zu betonen, wird der Phylogenetiker auch fürderhin die Embryologie sehr wohl beachten müssen. Aber er wird sie wie alle anderen Strukturen unter dem Blickwinkel der Anpassungsbegründung analysieren und bewerten. Dabei wird sich zeigen, daß rekonstruierte Verwandtschaftsverhältnisse manchmal mit ontogenetischen Rekapitulationen einhergehen und manchmal nicht, so wie man es nach der Evolutionstheorie auch erwarten muß und wie dies Fritz Müller bereits 1864 feststellte. Wir sahen ja, daß die Einstufung eines bestimmten Ontogenesestadiums als Rekapitulation überhaupt nur in Verbindung mit einer phylogenetischen Erklärung einen Sinn erhält. Der Phylogenetiker weiß also, daß es in der Ontogenese Rekapitulationen geben muß, aber um sie zu erkennen, stützt er sich auf evolutionsbiologische Einsichten und nicht auf die rein formalistische Anwendung einer Regel, auch wenn diese als "Grundgesetz" bezeichnet wird. Haeckels großes und bleibendes Verdienst ist es, die schon von Darwin und Fritz Müller vorgezeichnete Verbindung zwischen Phylogenese und Ontogenese noch deutlicher gemacht zu haben; sein Biogenetisches Grundgesetz hat in diesem Rahmen auch einen beachtlichen heuristischen Wert gehabt. Die Leistung Haeckels wird aber nicht geschmälert, wenn man das Biogenetische Grundgesetz nunmehr im historischen Archiv zu den Akten legt." (S.67)

PETERS bestreitet also nicht die Möglichkeit, manche embryonale Bildungen als "Rekapitulationen" zu werten, aber er betont, dass dies eine Interpretation ist, die vor dem Hintergrund vorausgesetzter phylogenetischer Vorstellungen getätigt wird. Und er bestreitet in diesem Zusammenhang die Existenz von Regeln, die zur Erkennung von Rekapitulationen führen. Das Resultat: "Dabei wird sich zeigen, daß rekonstruierte Verwandtschaftsverhältnisse manchmal mit ontogenetischen Rekapitulationen einhergehen und manchmal nicht..." Anders gesagt, wird man sich darauf beschränken, diesen und jenen Sachverhalt als Rekapitulation zu interpretieren, ganz nach den jeweiligen übergeordneten Vorstellungen zur Stammesgeschichte.

In der offiziell vom Vorstand der AG Evolutionsbiologie abgesegneten Kritik anLÖNNIG wird diesem im Kapitel "Ernst Haeckel und das Leitbild der ontogenetischen Rekapitulation" "Unterschlagung" und "Fehlinformation" vorgeworfen. Es bleibt dem Leser überlassen zu beurteilen, wie die Zitierweise der Ausführungen PETERS durch die AG Evolutionsbiologie im Lichte ihrer eigenen Kritik wirkt.

10) "Denn es ist doch für jeden, der ein gewisses Maß an rationaler Überlegung zuläßt, einzusehen, daß die weitreichenden Ähnlichkeiten zwischen bestimmten Embryonalstadien und Adultmerkmalen nicht zufällig existieren können, daß also aufgrund der augenfälligen Parallelen zwischen Embryologie, vergleichender Morphologie und Paläontologie ein kausaler Zusammenhang zwischen den Strukturen bestehen muß, der im epigenetischen System und dessen Geschichte zu suchen ist."

"Denn"? Inwiefern folgt das aus dem vorhergehenden Zitat von PETERS, welches auf die Theorieabhängigkeit der Deutung embryonaler Strukturen als Rekapitulationen hinweist?

Merkwürdig ist auch, dass im Satz vorher noch von der "Biogenetischen Grundregel" gesprochen wurde. Nun wird plötzlich vage auf das epigenetische System und seine Historie hingewiesen. Dies ist jedoch ein wesentlich allgemeinerer Ansatz als die "Biogenetische Grundregel" – es läuft hier auf einenunspezialisierteren Ansatz der evolutionären Ähnlichkeitsinterpretation hinaus, nicht um in irgendeiner Form regelhafte schnelle Rekapitulationen der Stammesgeschichte in der Ontogenese.

Dem Absatz ist aber in einem gewissen Sinne zuzustimmen – all dieÄhnlichkeiten können kein Zufall sein. Und wie ja auch die Arbeit von PETERS im Hinblick auf die Embryologie erwähnt, gab es einmal eine Zeit, in der man diese Ähnlichkeiten nicht in einem evolutionstheoretischen Kontext interpretierte, sondern in andere Modelle einordnete – schon damals wurde ein "gewisses Maß an rationaler Überlegung" zugelassen und nicht an Zufälligkeiten geglaubt. Im Übrigen sollte sich der Leser keine Vorschriften darüber machen lassen, wo er die "kausalen Zusammenhänge" zu suchen hat, bzw. wie diese auszusehen haben. Dasso genannte "gewisse Maß an rationaler Überlegung" kann auch über evolutionäre Ansätze hinaus führen – anders als anscheinend in obigem Satz impliziert wird.

Anschließend folgt eine längere Passage, die eine weitreichende Kritikevolutionärer Ähnlichkeitsargumentation nötig machen würde. Das ist nicht der Sinn dieser Abhandlung und man fragt sich auch zusehends, inwiefern das alles überhaupt noch LÖNNIG bzw. seine Anmerkungen zu HAECKEL berührt. Am Ende der Passage wird behauptet:

11) "Denn auf derlei Fragenkomplexe hat der Kreationismus keine einzige differenzierte – geschweige denn plausible – Antwort parat. Die einzige Antwort, die halbwegs als Erklärung gelten könnte, lautet, daß es dem Schöpfer in seinem weisen Ratschluß eben so und nicht anders gefallen habe!"

Es drängt sich die Frage auf, warum hier nicht auf die umfangreiche Literatur verwiesen wird, die sich kritisch und gründlich mit exakt6 den Argumenten befasst, die eben von Seiten der AG Evolutionsbiologie vorgebracht wurden (siehe z.B. REMINE 1993, JUNKER 2002, HUNTER 2004). Das wäre in diesem Kontext durchaus angebracht. So aber fällt die Kritik, die oben an LÖNNIG bezüglich der Angabe von Quellen versucht wurde, auf die Kritiker zurück. Dass die schöpfungstheoretische Position in diesem Punkt viel mehr kann als einen Verweis auf undurchdringliche Ratschlüsse eines Schöpfers zu geben, wird sofort klar, wenn sich der Leser mit den angegebenen Publikationen befasst. Der Leser sollte sich ebenfalls nicht von den Wertungen mangelnder Differenziertheit und fehlender Plausibilität beeinflussen lassen.

12) "Damit aber wird die Erklärung nur wieder in ein Mysterium hinein verschoben, um einem Erklärungsnotstand zu entkommen."

Wenn es so gemacht würde, dann wäre es so. Das ist aber meiner Einschätzung nach nicht der Fall. Im Gegenteil haben Schöpfungstheoretiker hier eine starke Motivation, die Organismenwelt aus der Perspektive eines Schöpfers heraus verstehen zu wollen. Die Frage "Warum könnte ein Schöpfer das so gemacht haben?" ist heuristisch wertvoll. Sogar Biologen, die nicht schöpfungstheoretisch motiviert sind, bedienen sich ihrer mit großem Erfolg, in dem Sinne, als sie mit einer teleologischen Betrachtungsweise an Organismen herangehen und diese so untersuchen, als wären sie geschaffen (vgl. z. B. RUSE 2003, S. 268 und für aktuelle und anschauliche Fallbeispiele EL-SAMAD et al. 2005 sowie WELLS 2005).

Evolutionstheoretiker sind in Bezug auf diese teleologische Denkweise in der Biologie nicht so konsequent – verständlich, wenn man bedenkt, dass für sie Teleologie nur eine Illusion (oft Teleonomie genannt) ist. Daher sind sie auch bereit, die Suche nach einer funktionellen Erklärung bestimmter Phänomene schneller aufzugeben, besonders wenn das Fehlen einer solchen sich mit aktuellen Evolutionsvorstellungen zusammenfügt. Zwar schließt die phylogenetische Interpretation einer Struktur (als homolog gewertete Ähnlichkeiten, Rekapitulationen und Rudimente sind Spezialfälle davon) nicht aus, dass sie auch im aktuellen Zustand eine Funktion ausübt. Man kann sogar argumentieren, dass die Konserviertheit von X darauf hinweist, dass es in irgendeiner Form noch eine Funktion ausüben muss. Trotzdem geht hier der Versuch einer historischen Erklärung dem Versuch eines funktionellen Verständnisses vor.

13) "Angesichts dessen sei nur noch einmal an das naive Glaubensbekenntnis erinnert, wonach die Phänomene "mit der Intelligent-Design-Theorie jetzt erst intellektuell zureichend und sogar völlig befriedigend erklärt" würden."

A) "Angesichts dessen"? - in dieser Passage werden Dinge gegenübergestellt die sich nicht vergleichen lassen. Die ID-Theorie sucht im "Muster des Lebens" nach Hinweisen auf Planung, sie erklärt nicht, wie es dazu kam (sie eröffnet jedoch andere Perspektiven in Bezug auf letzteren Punkt).

B) Hängt mit A) zusammen: In den vorherigen Absätzen wurden Einwände gegen bestimmte Vorstellungen von Schöpfung gebracht, bzw. den Kreationismus was hat das mit der ID-Theorie zu tun?

C) Hängt mit A) und B) zusammen: LÖNNIG sagt die von den Vertretern der AG Evolutionsbiologie beanstandeten Aussagen in folgendem Kontext:

"...zahlreiche Phänomene, die von der Synthetischen Evolutionstheorie nur unzureichend oder überhaupt nicht erklärt werden können, werden mit der Intelligent-Design-Theorie jetzt erst intellektuell zureichend und sogar völlig befriedigend erklärt."

Er stellt die ID-Theorie der Synthetischen Theorie gegenüber – korrekt, denn beide Konzepte sind im Bereich der Mechanismenfrage anzusiedeln. Bei der Debatte um ID geht es letztlich um die Frage, ob der auch von Evolutionisten oft eingeräumte "Anschein von Planung" in der Organismenwelt durch ungelenkte Prozesse als Illusion entlarvt wurde oder nicht. AYALA (2004) hat die Situation so beschrieben:

"Darwin's theory encountered opposition in some religious circles, not so much because he proposed the evolutionary origin of living things (which had been proposed before, and had been accepted even by Christian theologians), but because the causal mechanism – natural selection – excluded God as the explanation for the obvious design of organisms." (S. 58)

Der ID-Vertreter BEHE (2004) schreibt dazu:

"First of all, it is important to understand that a hypothesis of Intelligent Design has no quarrel with evolution per se - that is, evolution understood simply as descent with modification, but leaving the mechanism open. After all, a designer may have chosen to work that way. Rather than common descent, the focus of ID is on the mechanism of evolution - how did all this happen, by natural selection or by purposeful Intelligent Design?" (S. 356)

Wenn es um Design geht, ist demnach die Mechanismenfrage der Brennpunkt – die Frage nach gemeinsamer Abstammung und/oder dem Schöpfungsmodus ist lediglich nachgelagert. Die Passage im Text der AG Evolutionsbiologie hätte nur Sinn, wenn die ID-Theorie und Kreationismus bzw. Schöpfungslehren dasselbe wären.

14) "Wer an dieser Stelle immer noch kühn und voll der apodiktischen Überzeugung behauptet, daß der Kerngedanke der ontogenetischen Rekapitulation nicht haltbar, widerlegt und dessen empirische Grundlage von Haeckel gefälscht worden sei, der repetiert nur weltanschauliche Parolen, die weder mit der biologischen Realität noch mit einer wohlbegründeten wissenschaftstheoretischen Position etwas zu tun haben, weswegen sie sich von der Auffassung der Fachwelt (von Ausnahmen abgesehen) völlig unterscheiden."

Wer mir an dieser Stelle zeigen kann, wo LÖNNIG dies alles in dem von den Vertretern der AG Evolutionsbiologie in diesem Zusammenhang beanstandeten Artikel geäußert hat, der möge dies bitte tun. Ich habe zudem seine Website durchsucht und solche Aussagen nicht gefunden.

Zum restlichen Teil des Kapitels und der Frage nach dem "Leitbild"

Ich beende hier die absatzweise Besprechung, da die Kritik an LÖNNIG sich nun völlig im weiteren Text verliert. Vielmehr soll noch der unter 1) bereits aufgeworfene Punkt aufgegriffen werden – die Frage nach dem "Leitbild der ontogenetischen Rekapitulation".

Was bereits von PETERS (1980) gesagt und weiter oben zitiert wurde, widerspricht dem Konzept eines "Leitbildes" diametral: Rekapitulationen sind demgemäß kein Leitbild, sondern Interpretationen im Rahmen phylogenetischer Ansätze.

Der kausaltheoretische Ansatz "EvoDevo" hat mit HAECKELs Rekapitulationstheorie in formaler Hinsicht vielleicht insofern zu tun, als auch hier Vorgänge in der Ontogenese mit einem evolutionären Ansatz gekoppelt werden: Die Plastizität ontogenetischer Prozesse soll die Basis für makroevolutive Prozesse bilden, Änderungen während der individuellen Entwicklung sollen zur Entstehung völlig neuer Organismentypen beisteuern. Rekapitulation hingegen basiert auf der Konserviertheit ontogenetischer Prozesse. Das wird besonders klar, wenn man sich das Paradebeispiel für Rekapitulation ansieht. Die so genannte "phylotypische Phase", die alle Wirbeltiere durchlaufen sollen und die ein gemeinsames stammesgeschichtliches Erbe anzeigen soll, wird hier mit ihren bekannten "Kiemenfurchen", "Flossen" und dem "Schwanz" oft als Evidenz für Rekapitulation popularisiert (z.B. KUTSCHERA 2001). Von EvoDevo-Vertretern kam starke Kritik an der Existenz einer solchen Phase (RICHARDSON et al. 1997, BININDA-EMONDS et al. 2003) und ein Grund für diese Kritik mag auch ein Punkt sein, den RICHARDSON et al. (1997) gebracht haben, nachdem sie auf die Möglichkeiten evolutionärer Veränderung während der Embryonalentwicklung hingewiesen haben:

"These modifications of embryonic development are difficult to reconcile with the idea that most or all vertebrate clades pass through an embryonic stage that is highly resistant to evolutionary change. This idea is implicit in Haeckel's drawings, which have been used to substantiate two quite distinct claims. First, that differences between species typically become more apparent at late stages. Second, that vertebrate embryos are virtually identical at earlier stages. This first claim is clearly true. Our survey, however, does not support the second claim, and instead reveals considerable variability – and evolutionary lability – of the tailbud stage, the purported phylotypic stage of vertebrates. We suggest that not all developmental mechanisms are highly constrained by conserved developmental mechanisms such as the zootype. Embryonic stages may be key targets for macroevolutionary change." (S.105, vergl. auch die Erläuterungen in HANKEN&RICHARDSON 1998 zur Bedeutung der 97'er Arbeit.)

RICHARDSON et al. (1998b) haben diesen Gedanken – Konserviertheit vs. Modifikation - etwas später hervorgehoben. Sie schreiben in einem Kommentar:

"We regard the phylotypic stage as an archetype and not a real entity. Like Owen's archetype, the vertebrate phylotype applies to all vertebrates in general, but to no one species in detail. Other authors have equated the phylotypic stage with the ancestral condition. We do not support this view because, although primitive patterns of morphogenesis and gene expression are inherited from common ancestors 3, these patterns can be modified during evolution." (S. 158)

Die EvoDevo-Forscherin WEST-EBERHARD (2003) macht in Verbindung mit Neotenie bei Salamandern eine ähnliche Bemerkung:

"Salamanders are the grand old taxon of developmental evolutionary biology. Their sensational debut took place in Paris in the mid 1800s, when an unmetamorphosed captive larva of the Mexican axolotl (Ambystoma mexicana) reproduced in a museum ... . This was especially surprising because aquatic amphibian larvae (e.g., tadpoles) are morphologically and physiologically so different from the terrestrial adults. The axolotl helped to defeat the doctrine of recapitulation and the biogenetic law ... , the idea that ontogeny is a condensed synopsis of phylogeny ... , for it demonstrated that major changes could occur due to the reorganization of ontogeny, rather than by terminal addition as required by the idea that ontogeny recapitulates phylogeny. Subsequent research on salamanders has included detailed study of their natural history, endocrinology, and phylogeny, so they continue to be a model taxon for studies of development and evolution." (S.607)

EvoDevo-Forscher Wallace ARTHUR (2004) ist skeptisch, was Vorwürfe gegen Ernst HAECKEL in Richtung Fälschung betrifft. Das ändert aber nichts daran, dass Rekapitulationen für ihn anscheinend mehr unter "ferner liefen" denn unter der Rubrik "Leitbild" eingeordnet werden dürften. Oder wie er schreibt:

"Of course, Haeckel was quite wrong to try to turn a pattern into a 'law'. Statistically, evolution seems to modify later developmental stages more often than it modifies early ones. And, where it adds bits to the developmental programme, it may, again statistically, add these more often near the end than near the beginning for perfectly sensible selective reasons. But statistics is just that. It deals with probabilities, not the certainties that are normally associated with scientific 'laws' (such as E = mc2). Evolution goes in many directions. Sometimes a lineage gradually moves towards greater organismic complexity. In such cases, we would expect to see elements of recapitulation, albeit imperfect and accompanied by other types of change. But when a lineage goes in the opposite direction, as is often the case with parasites, recapitulation would hardly be expected, as development is more likely to experience subtractions than additions." (S. 18)

Es ist ein Unterschied, ob man unter gewissen Voraussetzungen in einem evolutionstheoretischen Rahmen Elemente von Rekapitulation erblickt oder Rekapitulationen als Leitbild nützt.

Es ist klar, dass auf Basis dieses Mechanismenverständnisses – EvoDevo – zwar die Existenz von Rekapitulationen nicht ausgeschlossen ist, nur wo diese eine wichtige Rolle für das Verständnis ontogenetischer Prozesse spielen, geschweige denn ein Leitbild darstellen sollen, bleibt unklar. Daran ändert auch die von der AG Evolutionsbiologie zitierte Passage von SANDER nichts. Denn wie dieser laut deren Zitat schreibt, knüpfe mit "EvoDevo" heute ein ganzer Biologiezweig am "Leitbild der ontogenetischen Rekapitulation an" - bewusst oder unbewusst. Etwas, woran man auch unbewusst anknüpfen kann, dürfte wohl schwerlich die Rolle eines Leitbildes übernehmen. Wenn man freilich die "historische Bedingtheit des Geschehens in der Ontogenese" als Kerngedanken heraushebt, hat man etwas so allgemeines formuliert, das zumindest in einem evolutionstheoretischen Kontext nie falsch sein kann. Eine nicht näher präzisierte "historische Bedingtheit" sagt aber nichts darüber aus, ob Rekapitulationen ein Leitbild sind, oder inwiefern darauf bezogene Gesetze bzw. Regeln Relevanz besitzen – gerade darum geht es jedoch. Es ist jedoch nicht nur so, dass die Bedeutung von Rekapitulationen in Bezug auf evolutionäre Zusammenhänge nicht klar scheint (Sind sie jetzt "Leitbilder" oder Interpretationen innerhalb eines größeren phylogenetischen Kontextes?). Wenn es darum geht, Aufbau und Funktion von Lebewesen zu erforschen, sind spekulative phylogenetische Konzepte ebenfalls nichts, was dem Forscher als "Leitbild" dienen würde – zumindest ist mir das noch nie aufgefallen, wenn ich derartige Publikationen gelesen habe. Mir ist jedoch aufgefallen – und hier komme ich auf die Schlussbemerkungen von 12) zurück –, dass sich wiederholt evolutionärhistorische Interpretationen in Bezug auf Strukturen von Organismen (bzw. deren funktionellen Status) als nicht zwingend oder gar irreführend erwiesen haben. Wenn z. B. SCADDING (1981) zeigt, wie die Liste angeblich rudimentärer Organe im menschlichen Körper schrumpft, sollte man sich einmal fragen, wo hier evolutionär-historische Hintergründe das "Leitbild" oder auch nur die Motivation für die Entdeckung all der komplexen Funktionszusammenhänge geliefert haben. Und was solche Hintergründe in Gestalt des Rekapitulationsgedankens für die Embryologie bedeuten, kann ebenfalls kaum mit einer Leitfunktion in Zusammenhang gebracht werden, wenn man bedenktdass die renommierten Embryologen Ronan O'RAHILLY und Fabiola MÜLLER den Begriff "Rekapitulation" in ihrem Lehrbuch "Embryologie und Teratologie des Menschen" (1999) nur mehr in Anführungszeichen gebrauchen und die Terminologie ihres Fachgebietes von damit verbundenen Ausdrücken befreien.

Aus den Ausführungen der Vertreter der AG Evolutionsbiologie im Kapitel "Ernst Haeckel und das Leitbild der ontogenetischen Rekapitulation" geht somit meiner Einschätzung nach nicht hervor, wo das Leitbild liegt. Anstatt eines Leitbildes scheint mit dem Konzept so genannter "Rekapitulationen" ein Faktor (genauer: eine spezielle Form homolog gewerteter Ähnlichkeiten7) von vielen, im Rahmen übergeordneter phylogenetischer Betrachtungen vorzuliegen. In Bezug auf EvoDevo stellen Rekapitulationen in ihrer Konserviertheit etwas dar, womit dieses Gebiet mit seiner Betonung auf die Modifikation ontogenetischer Prozesse wenig zu tun hat und in Bezug auf die Embryologie etwas, das man auch unter Anführungszeichen setzen kann.

Schlüsse

Soweit es die Sache betrifft – also Ernst HAECKEL und die Rekapitulationstheorie – , lassen sich meine Schlüsse so summieren: Ob man Ernst HAECKEL der Fälschung bezichtigen will, oder "sanftere" Formulierungen für sein unvorbildliches Verhalten in Bezug auf einige seiner Embryonendarstellungen verwenden möchte, ist Geschmackssache. Ich persönlich bin übrigens der Meinung, dass "Fälschung" noch zu den mildesten Ausdrücken gehören würde, wenn Evolutionskritiker Praktiken wie HAECKEL anwenden würden. Dass es ohnehin kein Unding ist, HAECKEL in Zusammenhang mit Fälschung zu erwähnen, zeigt etwa das obige Zitat von RICHARDSON (1998). Wie üblich kommt es auch hier auf den Kontext dieses Ausdrucks an – ist es eine sachliche Betrachtung oder z. B. eine Kampfansage gegen HAECKEL? Geht es um Showeffekte oder Inhalte? Was Rekapitulationen und damit verbundene Regeln/"Gesetze" betrifft, so dürfte davon der "Kern" nur mehr primär im Sinne einer allgemeinen Zusammenführung ontogenetischer Prozesse mit evolutionären Konzepten stehen. Was bleibt, sind die einen oder anderen Fälle, die im Rahmen phylogenetischer Konzepte bei heutigem Wissensstand als Rekapitulation gedeutet werden und somit als Spezialfallhomologer Ähnlichkeit. (Gefragt sind natürlich alternative Interpretationen für solche Fälle, aber das ist nicht Thema dieser Arbeit.) Wie der Leser bereits gemerkt hat und in den einleitenden Worten auch klar gemacht wurde, ging es hier weniger um HAECKEL und Rekapitulationen, sondern mehr um das, was im Untertitel der LÖNNIG-Kritik der AG Evolutionsbiologie ausgedrückt wird. Dieser lautet "Über die fragwürdigen Diskursmethoden eines Evolutionsgegners" somit sicher eine passende Gelegenheit, sich einmal exemplarisch mit der Technik der AG Evolutionsbiologie im Umgang mit Evolutionskritikern zu befassen. Denn "fragwürdige Diskursmethoden" – etwa Unterstellungen, konstruierte Vorwürfe, problematische Handhabung von Zitaten, völlig überzogene Folgerungen, etc. – muss man ja nicht nur bei Evolutionsgegnern suchen. Was war das Resultat dieser Suche – wie "schmeckt" die Kunst der Kritik nach dem Rezept der AG Evolutionsbiologie? Ich denke, jeder Leser kann das für sich beantworten.

Fußnoten:

1 http://www.evolutionsbiologen.de/max-planck.pdf (Version vom 12. 4. 2005).

2 Siehe meinen Aufsatz unter der Adresse http://members.aon.at/evolution/RekIcon.htm

3 http://www.weloennig.de/mendel.htm

4 http://www.weloennig.de/Antwort_an_Kritiker.html

5 Soweit ich das gesehen habe, verlief die Debatte in Science so: PENNISI (1997, September) > HANKEN &RICHARDSON (1998, Februar) > RICHARDSON et al. (1998, Mai) > BEHE, SANDER, BENDER (1998, Juli) > RICHARDSON (1998, August)

6 Besonders, wenn man JUNKER (2002) ab S.149 liest.

7 Mit den daran geknüpften klassischen Problemen, wie ich anmerken möchte. So schreibt Thomas JUNKER (in JAHN 2004, S.356-385) nachdem er Beispiele für Rekapitulationen erwähnt hat: "Diese Merkmale werden in der Evolutionstheorie als historische Relikte erklärt, wobei sich der konkrete Nachweis schwierig gestalten kann, da die evolutionistische Morphologie die Ähnlichkeit von Merkmalen sowohl durch Vererbung (Homologien) als auch durch Anpassung (Analogien) erklärt. (...) Inwieweit es sich bei Ähnlichkeiten in der Embryonalentwicklung tatsächlich um Relikte der Stammesgeschichte, also Homologien, handelt oder ob diese Ähnlichkeiten nur Parallelentwicklungen bzw. Anpassungen an das embryonale Leben darstellen, ist nur am einzelnen Fall zu entscheiden." (S. 373/374)

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Ich glaube, dass mit dem vorliegenden Dokument (insbesondere auch mit dem Beitrag von M. Rammerstorfer) jeder ehrliche Leser zur Genüge erkennen kann, mit welchen zweifelhaften Mitteln M. N. und A. B. sowie T. W. und Kutschera arbeiten.

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© 2011 by Wolf-Ekkehard Lönnig
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